Wir verbinden Trauer und Trauerarbeit häufig ausschließlich mit dem Tod von für uns wichtigen Menschen.
Abschiedsprozesse sind jedoch auch bei anderen Verlusten sehr wichtig für unsere Gesundheit und unser psychisches Wohlbefinden. Gerade wenn die Verluste sehr plötzlich eintreten und uns dadurch völlig unvorbereitet treffen.
Von einem Moment auf den anderen ist alles anders
In dem Unternehmen, in dem ein naher Angehöriger von mir arbeitet, hat es vor einigen Tagen einen großen Brand gegeben. Teile des Unternehmens und ein großes Bauprojekt wurden vernichtet.
Die Mitarbeiter/innen hatten unglaublich viel Arbeit und Engagement in das Projekt gesteckt – jetzt ist ihre Arbeit zerstört. Übrig bleiben Fassungslosigkeit und Traurigkeit – und die Freude darüber, dass niemand verletzt wurde.
Wie kann man nach so einem Ereignis gut weitermachen? Was ist jetzt wichtig?
Ganz grundsätzlich sind Verarbeitungsprozesse natürlich ganz unterschiedlich.
Wichtig ist in solchen Momenten, die Anerkennung dessen, was passiert ist. Dem Geschehen Raum zu geben. Den aufkommenden Gefühlen Raum zu geben. Sich seinen Gefühlen zuwenden.
Allen aufkommenden Gefühlen. Auch der Traurigkeit. Über diese legen sich schnell andere Gefühle. Solche, die anerkannter sind, uns selbst bekannter sind oder die uns (unbewusst) sinnhafter erscheinen – etwa Wut oder auch Schuldgefühle.
Gefühle sind dafür da, bestimmte Reaktionen oder auch Nicht-Reaktionen auszulösen. Unsere Gefühle sind kein Selbstzweck, sondern eine Aufforderung an uns, etwas zu tun oder nicht zu tun. Darum ist es so wichtig sie wahrzunehmen und wirklich zu fühlen. Nur dann können wir ihre Botschaft umsetzen.
Welches Gefühl fühlst du gerade?
Gefühlsübersicht in Druckversion: https://drive.google.com/file/d/138cz64VOgT1aJ5qdQEAQWbD7IiPw114M/view?usp=drive_link
Fühle bei hochkommenden Antworten gerne nochmal nach. Ist es tatsächlich dieses Gefühl oder liegt eventuell noch ein anderes dahinter?
Wenn du dir unsicher bist, trete einmal gedanklich ein Stück zur Seite und stelle dir diese Frage als dein persönlicher Berater. Ist es wirklich xyz? Frage dich ebenfalls (ggf. wieder mit Hilfe deines Beraters), ob dieses Gefühl angemessen ist.
Dazu ein Beispiel: Angenommen, du wärst ein Kollege meines Angehörigen und würdest eine starke Wut über den Brand und den Verlust des Projektes spüren. Ist diese Wut dann angemessen? Welcher persönliche Wert wurde verletzt? An welcher Stelle wurde eine deiner persönlichen Grenzen missachtet? Ist es wirklich Wut, die du fühlst? Oder liegt vielleicht eine Traurigkeit darunter, aber du kannst die Wut besser aushalten?
Spüre gut hin und hinterfrage gerne das, was du fühlst. Hinterfrage es freundlich. „Spreche“ wohlwollend mit dir. Was fühlst du?
Bei Wut und Traurigkeit passiert es relativ häufig, dass sie „vertauscht“ werden. Das liegt an unserer Prägung. Wenn in unserem Elternhaus und/oder früheren Umfeld die Traurigkeit anerkannter war, als die Wut, dann greifen wir unbewusst auch heute noch darauf zurück. Denn wenn wir früher durch das Ausleben unserer Wut, Gefahr liefen getadelt oder ausgeschlossen zu werden, dann greift dieses Muster auch heute häufig noch (solange, bis wir uns diesem bewusst werden und es bearbeiten 😉).
Auch das Gefühl von (unangemessenen) Schuldgefühlen ist bei manchen Menschen schnell präsent. Wenn du davon betroffen bist, frage dich, ob du tatsächlich einen Fehler gemacht hast.
Was sagt dein „persönlicher Berater“? Was würdest du einem Freund sagen, der sich von diesem Gefühl in deiner Situation geplagt fühlt? Ist er tatsächlich schuld?
Auch hier liegt häufig ein anderes Gefühl darunter. Manche Menschen „greifen“ aber eher nach dem Schuldgefühl. Auch dies hat, unter anderem, mit der Prägung zu tun, aber auch etwas mit vermeintlicher Kontrolle. Dieses Thema würde aber die Länge dieses Artikel zu sehr ausdehnen, darum werde ich dazu an anderer Stelle mehr schreiben.
Solltest du das von dir kennen, lass uns aber gerne schon jetzt persönlich darüber sprechen und eine Erleichterung für dich erarbeiten.
Über jedes einzelne Gefühl lässt sich noch viel mehr sagen und natürlich gibt es auch noch viel mehr Gefühle. An dieser Stelle habe ich die Gefühle aufgeführt, die in einer beschriebenen Situation häufig aufkommen.
Abschiedsprozesse nachholen
Im Beispiel dieses Artikels wird vermutlich die Traurigkeit (die Hüterin der Werterinnerung) eine große Rolle spielen. Wie bereits geschrieben, ist es überaus hilfreich dieses Gefühl bei sich ankommen zu lassen. Es zu fühlen. Es da sein zu lassen. Sich innerlich zu sagen: „Es ist okay“, „Liebe Traurigkeit, du darfst da sein“. Meiner Meinung nach, ist dies einer DER Schlüssel für den Umgang mit für uns schwierigen Gefühlen.
Um im Unternehmen meines Angehörigen zu bleiben – die Belegschaft hat ihr Projekt verloren. Monatelang haben sie gemeinsam daran konstruiert und gebaut. Pläne ausgearbeitet und umgesetzt. Termine koordiniert und versucht die Zeitpläne einzuhalten – eben alles was bei Großprojekten so zu tun ist.
Jetzt ist auf einen Schlag alles weg. Kein Projekt mehr da. Dafür ganz viel zerstörtes Material.
Das ist ein sehr plötzliches Ende und dazu auch noch eines mit sehr großem Schreck.
In einem üblichen Projektverlauf wird das Objekt langsam fertig, jeden Tag etwas mehr und der Termin mit der Übergabe an den Eigentümer rückt Stück für Stück näher. Es gibt verschiedene Zwischenschritte innerhalb des Unternehmens bis zur endgültigen Übergabe.
Ein geplantes, kontinuierlich näherkommendes Projektende.
Das fehlt jetzt und es ist hilfreich diesen Beendigungs- und Abschiedsprozess für sich nachzuholen. Eine Art Ritual für den eigenen Abschied zu finden. Einerseits die „gefühlige“ Trauerarbeit, andererseits ein nachträglicher, bewusster Abschied.
So wie es individuell richtig erschient. Vielleicht….
- ein Papierschiff in einen Fluss „setzen“, es wegschwimmen lassen und sich gedanklich verabschieden.
- eine Kerze anzünden und gute Gedanken „in den Himmel senden“.
- ein kleines Gebet sprechen.
- einen Abschiedsbrief ins Tagebuch schreiben.
- einen Abschiedsbrief schreiben und diesen in der Feuerschale verbrennen lassen.
- alle erinnerbaren Momente nochmal Revue passieren lassen und die Momente bewusst fühlen.
- eine Art „Beerdigungskaffee“ mit den Kollegen veranstalten.
- ……
Der Weg ist absolut individuell, wichtig ist nur ihn zu gehen – bewusst Abschied zu nehmen und die eigenen Gefühle zuzulassen.
Soll ich alle Gefühle zulassen?
Ich muss doch auch noch „funktionsfähig“ bleiben? Ich habe Sorge, dass es mich überrollt!
Wir Menschen haben ganz unterschiedliche Mechanismen, um mit solchen Erlebnissen umzugehen. Sogenannte Abwehrmechanismen. Unsere Abwehrmechanismen schützen uns auf der Wahrnehmungsebene (auf der Verhaltensebene sprechen wir von Bewältigungs- oder Schutzstrategien). Ein sehr wichtiger Abwehrmechanismus ist die „Verdrängung“. Ohne diesen Mechanismus wären wir nicht lebensfähig. Dann wäre uns zu jeder Zeit, an jedem Ort immer alles vollkommen bewusst und wir hätten ständig alles komplett vor Augen – das gesamte Weltgeschehen. Und das könnten wir nicht aushalten. Wir würden, im wahrsten Sinne des Wortes, verrückt werden. Darum verdrängen wir ständig Dinge.
Dieser Mechanismus hilft uns auch in solchen Situationen, wie der beschriebenen. Während der Arbeitszeit kommen wir in den Funktionsmodus, drücken unsere Gefühle zur Seite und „funktionieren“. Wenn wir jedoch in einem geschützten Raum und Rahmen sind, dann ist es wichtig, unserer Gefühlen Raum zu geben und sie tatsächlich zu fühlen. Gerade die unangenehmen Gefühle. Die, die wir so gerne weiter zur Seite drängen.
Würden wir unsere Gefühle nämlich dauerhaft nicht fühlen, suchen sie sich häufig irgendwann einen Platz. Dann häufig mit großer Wucht und für uns völlig unvermittelt und somit viel schwerer zu bewältigen und auszuhalten, als wenn wir sie zum gegebenen Zeitpunkt zulassen und fühlen.
Trauerarbeit außerhalb des Todes
Weitere Situationen, in denen ein bewusster (nachgeholter) Abschied und ggf. auch eine Art Trauerarbeit wichtig sind, sind
- plötzlicher Verlust des Arbeitsplatzes (z.B. nach einer fristlosen Kündigung)
- bei plötzlichen Verlusten des „zu Hauses“ (z. B. nach einer Überflutung oder plötzlichen Vermieterkündigung)
- bei plötzlichen Freundschaftsabbrüchen
- nach Insolvenzen und Verlust des eigenen Unternehmens
- wenn geplante Projekte nichts werden, weil wir eine Absage von der Bank erhalten
- bei Veränderungen durch Erkrankungen
- nach Trennungen vom Partner (wobei sich das noch anders verhält)
- und viele andere mehr
Gibt es bei dir vergangene Abschiede, die noch „offen“ sind?
Manchmal merken wir es daran, dass wir immer wieder von ihnen träumen oder im Tagesverlauf häufig daran denken, obwohl es schon lange her ist.
Gibt es bei dir einen noch nicht abgeschlossenen Abschied? Dann fühl gerne mal in dich hinein, welches Ritual zu dir passt und
🍀hole diesen Abschied nach, würdige die Zeit und das Ende.
🍀gib ihm einen bewussten Rahmen
🍀fühle ggf. auch noch mal die Gefühle „von damals“. Lasse sie zu. Sehr häufig können sie dann gehen.
Alles Gute und vielen Dank
Ich freue mich, dass du meinen Beitrag gelesen hast und wünsche dir gute Abschiede. Den Kolleginnen und Kollegen meines Angehörigen wünsche ich eine gute Verarbeitungsstrategie, viel Gefühl und einen guten Neubeginn!
Herzliche Grüße,
deine Claudia 💜
P.S. Wie immer, darfst du den Beitrag gerne an Menschen weiterleiten oder teilen, wenn dir jemand einfällt, der sich darüber freuen würde! Lass‘ uns gemeinsam eine schönere Welt gestalten!
Autorin: Claudia Süsens
https://coachingpraxis-
Hallo, ich bin Claudia, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Ganzheitlicher Coach und Karriere-Navigator-Coach. Ich unterstütze dich bei persönlichen und beruflichen Krisen, damit du (wieder) auf DEINEN Weg findest.
Raus aus der Krise, rein in die Gestaltung DEINES Lebens!
Vielen Dank für Dein Interesse, ich freue mich, dass Du hier bist!
Hallo Claudia,
danke für diesen Artikel, da steckt so viel Inspirierendes drin! So angenehm, dass du den verschiedenen Arten von Abschied einen Raum gibst, das finde ich ganz besonders wohltuend.
Deinem Angehörigen und den Kolleg*innen von Herzen alles Gute für die kommende Zeit!
Herzliche Grüße
Sonja
Liebe Sonja, herzlichen Dank für dein warmherziges und detailliertes Feedback. Ich freue mich sehr darüber!
Herzliche Grüße
Claudia